Der Bundesrat und der Schwyzer Regierungsrat wollen die Axenstrasse als Gotthardzubringer ausbauen. Die Gegner orten ein Demokratiedefizit.

Der Ausbau der Axenstrasse wird zum nationalen Politikum. Die Grünen verlangen vom Bundesrat, das Projekt mit Kosten von einer Milliarde Franken zu sistieren, bis die Schwyzer Bevölkerung über die jüngst angekündigte kantonale Volksinitiative gegen die geplante neue Linienführung befunden hat. Die Initianten aus dem links-grünen Lager wollen den Schwyzer Regierungsrat verpflichten, in Bundesbern «mit allen rechtlich zulässigen Mitteln» darauf ­hinzuwirken, dass der Bau «nicht realisiert wird».

Sie befürchten Mehrverkehr im Kanton und hohe Folgekosten in Form der Unterhaltsaufwendungen für die bestehende Axenstrasse, die dannzumal in den Besitz des Kantons überginge. Regula Rytz, Co-Präsidentin der Grünen, reicht in der anstehenden Herbstsession einen entsprechenden Vorstoss ein. Die Berner Nationalrätin ortet ein «Demokratiedefizit» beim Bau von Nationalstrassen: «Der Bundesrat hat die Opposition kantonaler und nationaler Parlamentarier in Schwyz jahrelang ignoriert.»

Die Planung der neuen Axenstrasse ist eine wechselvolle Geschichte mit komplizierten rechtlichen Verschachtelungen, da Bundes- und Kantonsrecht zur Anwendung gelangen. Anschaulich erklären lässt sich, was die Grünen monieren, mit einer unscheinbaren Zahl, die sich verändert hat – eine Umwandlung, die Streitpotenzial birgt. Während Jahrzehnten galt die Axenstrasse entlang des Urnersees offiziell als National­stras­se 3. Klasse, stand (und steht) somit nicht nur Autos und Lastwagen offen, sondern auch dem Langsamverkehr. So ist es im nicht referendumsfähigen Netzbeschluss zum Bundesgesetz über die Nationalstrassen von 1960 verankert. Im Anhang zur 2007 erlassenen Nationalstrassenverordnung wird die Axen­stras­se jedoch der 2. Klasse zugerechnet, womit sie nur noch von Motorfahrzeugen befahren werden darf.

Auslöser dieser Änderung ist der geplante neue Routenverlauf, dessen Kernstück der Sisikoner und der Morschacher Tunnel sind. Die Bauten sollen, wie der Bundesrat hofft, nicht nur den Verkehrsfluss erhöhen. Auch sollen sie den Kanton Uri besser an die Wirtschaftsregion Zürich anbinden, Sisikon vom Durchgangsverkehr befreien und die Strecke sicherer gegen Naturgefahren wie Felsstürze machen.

Für den Bundesrat ist alles klar

Wer hat die Aufklassierung zu verantworten? Diese Aufgabe fällt grundsätzlich dem Bundesparlament zu. Doch haben National- und Ständerat die Landesregierung im Bundesbeschluss über das Nationalstrassennetz ermächtigt, die Klassierung in Eigenregie zu ändern, «wenn verkehrstechnische oder andere wichtige Gründe es erfordern». Das Parlament hat aber zugleich Grenzen gesetzt: Selber tätig werden darf der Bundesrat nur im Einvernehmen mit dem Kanton. Kommt keine Einigung zustande, entscheidet die Bundesversammlung.

Pikant ist diese Vorgabe im vorliegenden Fall, weil strittig ist, ob der Kanton Schwyz den Ausbau der Axenstrasse ­befürwortet. Für den Bundesrat gibt es nichts zu deuteln: Er stützt sich auf die Haltung der Schwyzer Kantonsregierung, die den Bau befürwortet. Doch das bürgerlich dominierte Kantonsparlament, die direkten Volksvertreter also, hatte sich 2009 und 2010 klar gegen das Projekt ausgesprochen. Der Regierungsrat trieb mit dem Bund die Planung gleichwohl voran, was ihm prompt den Vorwurf eintrug, vollendete Tatsachen schaffen zu wollen.

Seine Anfänge nahm das Projekt bereits in den 70er-Jahren, konkrete Gestalt bekam es ab 2001. Sechs Jahre später verabschiedeten die Regierungen von Schwyz und des ebenfalls involvierten Kantons Uri das Projekt und unterbreiteten es dem Bundesrat zur Genehmigung. Das federführende Bundesamt für Strassen (Astra) spricht heute von einer impliziten Zustimmung der Kantone, die sich in diesem Schritt manifestiert habe.

Das Vorgehen der Schwyzer Regierung provozierte Proteste. Ein interkantonales Komitee wandte sich in der Folge an den damaligen Verkehrsminister Moritz Leuenberger. Doch der SP-­Magistrat beschied, ein Verzicht auf den Neubau stehe nicht zur Debatte. Dasselbe Verdikt fällte er, als sich die vier Schwyzer Nationalräte aus SVP, CVP und SP in einem gemeinsamen Appell an ihn wandten. Ebenso wenig fruchtete eine Aufsichtsbeschwerde gegen die Schwyzer Regierung, welche Schwyzer Nationalräte beim Bundesrat eingereicht ­hatten. Die Planung lief weiter. Derweil waren in Kantonsparlamenten von Schwyz und Uri noch Vorstösse gegen den Bau der Strasse hängig. Auch Leuenbergers Nachfolgerin Doris Leuthard hat bis heute keine Anzeichen eines Entgegenkommens erkennen lassen. Ihre Fachleute im Astra stellten bei der Ankündigung der Volksinitiative im August klar, die neue Axenstrasse sei als Gotthardzubringer strategisch zu wichtig, als dass ihr Ausbau verschoben oder gestrichen werden könnte.

Das Astra argumentiert, beim Projekt handle es sich um eine Strecke im Rahmen der Fertigstellung des Nationalstrassennetzes, und dieses habe das Parlament als Gesamtpaket abgesegnet: «Da zwischen dem Bund und den Kantonen Uri und Schwyz in der Klassierungsfrage Einigkeit bestand, war ein Entscheid der Bundesversammlung nicht notwendig.» Die Strassengegner sehen dies anders: Es sei ein Neubau und damit zwingend vom Bundesparlament zu genehmigen.

Anders als in Uri, wo das Parlament ein Mitspracherecht beim Ausbau der Axenstrasse hat, verbittet sich die Schwyzer Regierung jede Einmischung. Den Kantonsrat erklärte sie für nicht mitspracheberechtigt, weil es sich bei den Investitionen in das Projekt von rund 60 Millionen Franken für den Kanton Schwyz um gebundene Ausgaben handle. Im Gegensatz zu neuen Ausgaben bedürften diese keiner Bewilligung durch das Parlament. Der zuständige Baudirektor Othmar Reichmuth (CVP) bekräftigt auf Nachfrage denn auch: «Es besteht kein Handlungsspielraum.» Würde sich der Kanton seiner Pflicht, auch der finanziellen, entziehen, würde eine Ersatzvornahme durch den Bund erfolgen, warnt er.

Volksvotum soll Wende bringen

Ob dies so wäre, ist jedoch fraglich. Zwar kann der Bund die Rolle des Bauherren selber übernehmen, sollte der Kanton Widerstand leisten. Ob der Bundesrat dazu Hand böte, ist jedoch fraglich. Ein juristisches Gutachten der Initianten, erstellt von zwei Zürcher Rechtsanwälten, kommt zum Schluss, dass trotz an sich klarer Kompetenzordnung und Aufgabenverteilung der Bund «sehr wohl» offen sei für eine pragmatische Lösung. Diese Bereitschaft erfolge freilich nicht zwingend aus freien Stücken, sondern leite sich aus der Bundesverfassung ab; diese verpflichtet Bund und Kantone dazu, in der Erfüllung ihrer Aufgaben ­einander zu unterstützten und zusammenzuarbeiten.

Hier wollen die Initianten einhaken. Der Bundesrat habe bereits sträflicherweise den Willen des Kantonsparlaments ignoriert, sagt Mitinitiant Toni Reichmuth, Präsident der Grünen Schwyz. «Einen Volksentscheid gegen die Axen­stras­se kann er aber nicht mehr ignorieren.» Im Minimum erhoffen sich die Initianten, dass das Bundesparlament über die neue Linienführung befinden wird. Zudem hoffen die Initianten, dass das Parlament andere Projekte dem Ausbau der Axenstrasse vorzieht.

Baudirektor Reichmuth (CVP) spricht zwar von einer Neubeurteilung des Projekts, sollte das Volk die Initiative annehmen. Gleichzeitig bekräftigt er die Haltung: Schwyz und Uri müssten die neue Axenstrasse im Auftrag des Bundes realisieren. Eine kantonale Volksinitiative sei deshalb «wirkungslos».

 

Stefan Häne
Tages-Anzeiger,
06.09.2014

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